Hohes Lob und harsche Kritik â" unterschiedlicher könnte die Kommentierung der deutschen und internationalen Presse zu der Abkündigung des EZB-Chefs, unbegrenzt Anleihen aufzukaufen, kaum ausfallen.
Die Ankündigung der EZB, künftig Staatsanleihen in unbegrenztem Ausmaà aufzukaufen, spaltet Europa. Die Problemländer jubeln über Mario Draghis ultimative Euro-RettungsmaÃnahme. Allerdings sieht man selbst im Süden weiteren Reformbedarf. Im Norden bleibt man ohnehin grundsätzlich eher skeptisch.
"Le Figaro" aus Frankreich schreibt: "Danke, Draghi"
"Super Mario" hat seine Verantwortung übernommen, so wie ihn alle inständig gebeten hatten. Zum Teufel mit der reinen monetären Lehre! Mario Draghi hat zweifellos "seinen Job gemacht", wie man so schön sagt. Doch so pragmatisch und geschickt er auch sein mag, der EZB-Präsident kann nicht alles tun. Er fordert zu Recht Anstrengungen als Gegenleistung.
Die Märkte zu beruhigen ist eine Sache. Eine ganz andere Sache ist es, ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Dafür sind jedoch einzig und allein die Staaten verantwortlich. Sie müssen jetzt ihre Entschlossenheit unter Beweis stellen, ihre Wirtschaft wieder auf die Beine zu stellen. Bei uns ist das eine gewaltige Aufgabe, und von Strukturreformen und Kürzungen öffentlicher Ausgaben ist weit und breit nichts festzustellen. Draghi muss wie viele andere Europäer auch Frankreich sehr leichtsinnig finden."
"La Vanguardia" aus Spanien titelt: "Draghi hält sein Wort"
"Die Ankündigungen von EZB-Präsident Mario Draghi lassen einige wichtige Aspekte offen. Es ist zum Beispiel unklar, was geschieht, wenn ein Land von einer EZB-Intervention auf den Anleihemärkten profitiert, dann aber seine Verpflichtungen nicht einhält oder nicht in der Lage ist, seine Finanzen in Ordnung zu bringen. An dieser Frage wird sich zeigen, ob Draghis Plan ausreichen wird, die Krise des Euro zu überwinden. Der EZB-Chef hat jedenfalls sein Versprechen gehalten, das er im Juli gegeben hatte. Er ist bereit, alles zu tun, um die gemeinsame Währung zu retten."
"Corriere della Sera" aus Italien sieht "Risiken in Draghis Plan"
"Das EZB-Programm kann erstens nur funktionieren, wenn die Investoren den ihn begleitenden Entscheidungsprozess nicht als chaotisch wahrnehmen und auch nicht als gekennzeichnet von einer Spaltung im EZB-Rat zwischen dem starken und dem schwachen Europa. (...).
Zweitens kann die neue Geldpolitik nur dann den Euro auch erfolgreich erhalten, wenn andere MaÃnahmen auf europäischer Ebene getroffen werden. Von diesen MaÃnahmen, darunter die Bankenunion, ist schon viel gesprochen worden, Europa bleibt da jedoch tief gespalten. Die Differenzen sind vielschichtig, und ihre Ãberwindung verlangt einen überaus gefährlichen politischen Prozess."
Deutlich kritischer mit der neuen Rolle der EZB als letzter Retter der angeschlagenen Euro-Währung geht die konservative Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ins Gericht:
Die "NZZ" kommentiert: "Risiken der EZB-Politik"
"Geldpolitiker, die eigentlich die Währung stabil halten sollten, haben sich mit der jüngsten Aktion langfristig eine Rolle als Retter mit umfangreichen Kompetenzen gesichert. All dies mag der Rettung der Einheitswährung dienen â" allerdings unter Preisgabe ihrer früheren Qualität. Für Bürger, Sparer und Steuerzahler vor allem der solideren Länder der Euro-Zone ist die jüngste Wendung in der EZB-Geldpolitik mit groÃen Risiken verbunden.
Die Schaffung einer anderen, stärker südorientierten EZB als "Heim für den Euro" wird in ihrer Wirkung wahrscheinlich auf etwas Ãhnliches hinauslaufen wie die Vergemeinschaftung von Schulden oder die EU-weite Umverteilung von Steuer- und Sozialversicherungs-Belastungen. Dies bedeutet zum einen eine Verwischung der Verantwortung für Währungsstabilität und Eigenverantwortung sowie zum andern eine stärkere Politisierung der Entscheidungsprozesse innerhalb und auÃerhalb der Zentralbank."
Die Wiener Zeitung "Der Standard" kritisiert: Bitterer Nachgeschmack
"Die jetzigen Staatsanleihenkäufe der EZB kann man noch als Ãberbrückung bis zu dem Zeitpunkt rechtfertigen, an dem die Strukturreformen in den Krisenländern greifen. Doch ein wichtiger Grund für die hohen Zinsen sind die Zombie-Banken, die ausgerechnet von der Zentralbank durchgefüttert anstatt ausgehungert werden.
So gesehen spielt auch die EZB bei allen Unterschieden zur US-Fed ein gefährliches Spiel. Sie springt dort ein, wo sich die Politik als unfähig erwiesen hat, und riskiert damit angesichts des deutschen Widerstands eine schwere interne Spaltung.
Schon zuvor ist die EZB der zarten Versuchung der Notenpresse erlegen. So süà der Geschmack am Anfang sein mag, so bitter wird er mit der Zeit."
Die deutsche "Börsen-Zeitung" bezeichnet Draghi indirekt als "wohlwollenden Dikator"
Selbst Ãkonomen misstrauen dem Markt, also den freien Entscheidungen der Menschen, setzen auf staatliche Mindest- und Höchstpreise, die wenige Bürokraten oder Politiker festsetzen. Nicht nur, dass sich solche Eingriffe meist als ineffizient erweisen, sie sind häufig auch ein Angriff auf die Freiheit.
Solch einen Angriff stellt auch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) dar. 21 von 22 EZB-Ratsmitgliedern maÃen sich an, den korrekten Preis von Staatsanleihen zu kennen, diffamieren den Markt als "irrational". Sie manipulieren nun mit dem Segen zahlreicher Ãkonomen den Kapitalmarkt, wollen Zinssätze einzelner Länder steuern und sich nicht mehr wie früher auf das Gesamtzinsniveau im Euroraum beschränken. Armes Europa!
Immerhin: Der Ball liegt bei der Politik. Die EZB handelt nur, wenn Länder unter ein Hilfsprogramm schlüpfen. Das deutsche Parlament weià nun, dass Hilfspakete für Krisenländer einhergehen mit einer Verlagerung von Macht zur Notenbank. In deren Kreis widersteht einzig Bundesbankpräsident Jens Weidmann der Versuchung, "wohlwollender Diktator" zu spielen. Der wohlwollende Diktator ist ein wesentliches Element der Volkswirtschaftslehre. (â¦)
(â¦) die EZB scheint ihr originäres Mandat aufzugeben, kümmert sich lieber um eine Frage, die sie gar nichts angeht: Bleibt der Euro die Währung der Euro-Staaten, und welche Länder gehören künftig zu Euroland. Diese Frage kann, ja darf sie nicht beantworten. Das ist Sache der Regierungen. Draghis Satz, der Euro sei unumkehrbar, ist nicht von seinem Mandat gedeckt. Sein Mandat heiÃt, dort für Preisstabilität zu sorgen, wo der Euro gilt.
Die "Badischen Neuesten Nachrichten" ist milder mit der EZB: Kleine Schritte
Es schmerzt schon, zu erleben, wie die Euro-Krise immer wieder Bollwerke einer einst erfolgreichen Fiskalordnung hinwegfegt. Jetzt hat die Europäische Zentralbank grünes Licht gegeben, um Staatsanleihen Krisen geschüttelter Staaten aufzukaufen. Bundesbänker in den harten D-Mark-Zeiten hätten hinter solcherlei Ansinnen noch das Werk des Leibhaftigen vermutet.
Doch die Mark ist längst passé, mit ihr die stolze Bundesbank, und in diesen schweren Euro-Zeiten muss man die Entscheidung der europäischen Währungshüter wohl mit etwas mehr Milde betrachten. Die Situation ist so verfahren um den Euro, dass ein sklavisches Festhalten an den einstigen Erfolgsrezepten heute kaum mehr Sinn macht.
Die Einführung der gemeinsamen Währung war eine politische Entscheidung, das Beibehalten hat aber eine noch existenziellere wirtschaftliche Dimension: Denn die Folgen eines Euro-Desasters sind für Ãkonomen noch weniger exakt kalkulierbar als ein Nachgeben in Fragen der Fiskalordnung. Also bleibt gar keine andere Wahl, als Rezepturen aufzustellen, die das groÃe Ganze nicht in Frage stellen, aber auf kurze und mittlere Sicht Entlastung bringen.
So hat Draghi auch im gestrigen EZB-Beschluss einige Hürden eingebaut, um die ärgsten Ãngste vor einer Geldentwertung zu beseitigen. Gewichtiger wirkt wohl die Sorge, dass das frische EZB-Geld die Sparanstrengungen in den Krisenländern ersetzen wird. Doch dahinter steckt ein Kardinalproblem: Die Schuldenkrise in Gesamteuropa â" und darüber hinaus â" wird sich nur durch eine radikale Korrektur der Staatsquoten heilen lassen.
Kurzfristige Sparanstrengungen um jeden Preis können die ohnehin schon überall aufklaffenden Sorgen schnell noch vergröÃern. Daher bleibt das Kernproblem ein politisches: Der Druck auf die Regierungen, die sich durch den Rettungsfonds alimentieren lassen wollen, muss politisch ausgeübt werden. Die EZB hat gestern nur das getan, was sie in dieser schwierigen Zeit dazu beitragen kann.
Und das "Handelsblatt" verweist auf den Machtgewinn der Notenbanker:
Die Debatte zur demokratischen Kontrolle über das Handeln des ESM löst nun eine überfällige Debatte über die demokratische Legitimation des Handelns der EZB aus. Es wird deutlich, wie weitreichend die Macht der EZB ist. Sie reicht mindestens so weit wie die des Rettungsschirms ESM, aber die demokratische Kontrolle ist null. Die Krise hat dem EZB-Rat einen derartigen Machtzuwachs beschert, dass keine nationale Regierung und keine andere europäische Institution ihr mehr das Wasser reichen können. Per Mehrheitsbeschluss kann der EZB-Rat mindestens ein halbes Dutzend Regierungen jederzeit stürzen oder stützen.
© Axel Springer AG 2012. Alle Rechte vorbehalten
No comments:
Post a Comment