Krakau (dpa) - Cesare Prandelli kennt keine Angst. Allen Warnungen zum Trotz setzt Italiens Nationaltrainer auch gegen England auf Mario Balotelli - das Enfant Terrible mit den zwei Gesichtern.
Als «Super Mario» soll der unberechenbare Stürmer die Azzurri am Sonntag in Kiew ins EM-Halbfinale schieÃen, so lautet zumindest Prandellis Rechnung. Doch ein unkalkulierbares Risiko bleibt. Als «Mad Mario» könnte der Spätpubertierende sich von seinen Premiere-League-Rivalen provozieren lassen. Gerade die Kollegen von Manchester City kennen Balotellis schwache Stellen ganz genau.
Prandellis Vorgänger Marcello Lippi hätte den unzähmbaren Angreifer nicht mal in die Nähe der Nationalelf gelassen. «Tief in seinem Herzen ist Mario ein Goldjunge», entgegnet Prandelli. Gegen Spanien und Kroatien vergab Balotelli Riesenchancen, spielte egoistisch und undiszipliniert. Wie ein Vater nimmt Prandelli seinen Rebellen mal in Schutz, mal liest er ihm die Leviten: «Will er ein echter Champion werden, muss er Kritik akzeptieren lernen», betonte der Coach.
Englands Presse hat sich auf den elfmaligen Nationalspieler schon eingeschossen. Der Druck ist riesig. Das Ausraster-Risiko ist hoch. Aber Prandelli braucht den bulligen Sturmhünen gegen die robuste englische Abwehr um City-Teamkollege Joleon Lescott, der den Italiener stoppen soll. Sturmpartner Antonio Cassano und Balotelli-Alternative Antonio Di Natale sind quirlig, aber klein.
«Mario, reià dich zusammen», ermahnt Kapitän Gianluigi Buffon immer wieder. Die Azzurri lassen ihren Einzelgänger nicht allein. Leonardo Bonucci rettete ihn im Spiel gegen Irland wohlmöglich vor einer Roten Karte, als er dem nach seinem Tor wütend losbrüllenden Balotelli den Mund zuhielt. «Mario ist als Stürmer kraftvoll und unberechenbar. Nur leider macht er ab und an eben Dummheiten», sagt der Verteidiger über Balotelli, der als Sohn ghanaischer Immigranten bei einer Pflegefamilie in Brescia aufwuchs.
Das Sündenregister des Exzentrikers mit der Hahnenkamm-Frisur ist lang und legendär: Er zerlegte Sportwagen, warf Dartpfeile auf Jugendspieler, betrog seine Freundin mit einem auch Wayne Rooney wohlbekannten Call-Girl, spazierte mit Mafiosi durch Neapel, verpasste seinem Gegenspieler Scott Parker im Ligaspiel gegen Tottenham ein Stollenabdruck im Gesicht, prügelte sich mit einem Mitspieler um einen Freistoà und warf den Inter-Fans sein Trikot vor die FüÃe.
Vor dem Viertelfinale fragten die Reporter im Casa Azzurri deshalb nur nach Balotelli, der bislang erst zweimal in der Nationalelf traf. Dass Prandelli wie gegen Irland auf die Viererabwehrkette setzt, mit Daniele De Rossi neben Regisseur Andrea Pirlo im Mittelfeld, interessierte kaum. Ebenso wenig, dass Italien damit noch offensiver sein wird als gegen Spanien und Kroatien. In der Abwehr ersetzt Bonucci den verletzten Giorgio Chiellini in der Innenverteidigung.
«Wir sind stärker als England», versicherte Bonucci den Tifosi. Seit dem 2:0 gegen Irland sind die ungeschlagenen Azzurri wie befreit. Selbstbewustsein glaubt der Europameister von 1968 an den dritten Einzug in ein EM-Halbfinale. Seit 35 Jahren hat Italien kein Turnier-Spiel gegen England verloren. «Wir werden es aber nicht auf's ElfmeterschieÃen ankommen lassen», meinte der schmunzelnde De Rossi, auch wenn Elfmeter für die Engländer ein Trauma seien.
«Ehrlich gesagt können wir gar nicht auf Ergebnis spielen», räumte Prandelli ein. Er hat den ängstlichen Catenaccio durch Calcio furioso ersetzt. Auch im Viertelfinale will der viermalige Weltmeister offensiv und mutig spielen. So mutig wie Prandelli, der es wagt, gegen England auf Mario Balotelli zu setzen.
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