Es war schon fast Mitternacht im heiÃen Charkiw, da gestattete Mario Gomez der Ãffentlichkeit einen ungewohnten Einblick in sein Seelenleben. Er war der Matchwinner beim so wichtigen EM-Sieg über die Niederlande gewesen, er hatte beide Tore zum 2:1-Vorrundenerfolg erzielt, aber ihn bewegte in diesem Moment viel weniger Genugtuung als Erleichterung.
"Tausende von Kilos sind mir von den Schultern gefallen", sagte der Münchner Angreifer, der nach auÃen oft so cool wirkt und wirken möchte. Tagelang war seine Leistung nach dem EM-Auftakt gegen Portugal Teil der öffentlichen Debatte gewesen, losgetreten durch die harsche Kritik von ARD-Experte Mehmet Scholl vor einem Millionenpublikum direkt nach der Portugal-Partie. Wie sehr Gomez das getroffen hat, das offenbarte er erst jetzt.
"Es waren drei verdammt schwierige Tage", sagte der 26-Jährige nach der Partie. Auch gegen Portugal hatte er das Spiel mit seinem Treffer zum 1:0 entschieden. Scholls Frontalangriff danach hat ihn offenbar kalt erwischt. "Da schieÃt du das Tor - und bekommst anschlieÃend tagelang auf die Fresse", sagte er.
Höchstes Lob vom früheren Weltstar
Im Spiel gegen die Niederlande sei ihm "das bei manchen Situationen immer wieder durch den Kopf geschossen". Umso mehr muss ihn gefreut haben, dass ihn der ehemalige dänische Weltklassestürmer Allan Simonsen nach der Partie adelte: "Gomez hat alles, was ein FuÃballer braucht." Eben genau das hatten ihm die Kritiker zuletzt abgesprochen.
Bundestrainer Joachim Löw habe ihm allerdings frühzeitig gesagt, "dass er das anders sieht als die Kritiker und dass er ganz alleine entscheidet, wer aufgestellt wird und wer nicht". Löw hatte zuvor schon Scholls verbale Attacken als "uninteressant für mich" abgetan. Gomez habe "zwar schon mal ab und an am Boden gelegen, aber er hat sich immer wieder selbst aus dem Tal herausgekämpft", hatte Löw über seinen Mittelstürmer gesagt. "Ich musste ihn nicht aufrichten."
Es war eine besondere Pikanterie, dass der Klassiker gegen die Niederlande ausgerechnet von jenen beiden Spielern entschieden wurde, die nach dem Portugal-Spiel am meisten in der Kritik standen. Neben Gomez gelang auch seinem Münchner Teamkollegen Bastian Schweinsteiger eindrucksvoll die Rückkehr zu alter Stärke.
Schweinsteigers Pässe knackten die holländische Abwehr
Schweinsteiger, noch gegen Portugal mit einer bestenfalls durchschnittlichen Leistung, zeigte sich auf dem Platz komplett unbeeindruckt von der Kritik in den Medien und legte eine ausgezeichnete Partie hin. Den Ideengeber der Oranjes, Wesley Sneijder, nahmen er und Nebenmann Sami Khedira weitgehend aus dem Spiel. Und an beiden deutschen Treffern war der Münchner ebenfalls maÃgeblich beteiligt.
Mit zwei "Traumpässen" (Gomez) knackte Schweinsteiger die niederländische Abwehr auf, sein Mittelstürmer vollendete beide Male gekonnt. "Das sind genau die Pässe, auf die ich lauere", lobte Gomez seinen Vorarbeiter in den höchsten Tönen. Das Team hatte sich genau diese Variante im Vorfeld ausgeguckt. "Wir wussten einfach, dass die Niederländer in der Schnittstelle zwischen Innenverteidigung und defensivem Mittelfeld groÃe Probleme haben", verriet Löw anschlieÃend. "Bei den Toren ist das genau so aufgegangen."
Es war ein Abend, an dem vieles stimmte im deutschen Team. Auch wenn die Mannschaft in der ersten Viertelstunde und in der Schlussphase leicht ins Wanken geriet, haben "wir es vor allem defensiv schon klasse gemacht", befand der Bundestrainer. Die Innenverteidiger Holger Badstuber und Mats Hummels machten wie gegen Portugal einen extrem souveränen Eindruck, auch AuÃenverteidiger Philipp Lahm wusste sich zu steigern.
Der Kapitän gehörte zu denen, die nach dem Spiel offensiv die Personaldebatte um Gomez angingen. "Wir wissen, was wir an ihm haben. Das Turnier ist noch jung, und der Mario hat noch viel vor." Es war wie Balsam für den Mittelstürmer.
Kritiker Scholl lieà sich an diesem Abend übrigens nicht blicken. Per "Bild"-Zeitung erklärte er am Donnerstagmorgen: "Ich bin stolz auf Mario! Einsatz und Erfolg haben zusammengepasst."
Und Gomez selbst? Warum hat er nach seinen Treffern nicht ausgelassen gejubelt? Die Antwort gab er nach dem Spiel: "Ich rannte nach dem Tor auf die Fankurve zu, aber da war alles nur in Orange getaucht. Und da ich nicht die holländischen Anhänger provozieren wollte, habe ich wieder abgedreht."
Auch das hat Gomez an diesem Abend noch richtig gemacht.
Niederlande - Deutschland 1:2 (0:2)
0:1 Gomez (24.)
0:2 Gomez (38.)
1:2 Persie (73.)
Niederlande: Stekelenburg - van der Wiel, Heitinga, Mathijsen, Willems - Bommel (46. van der Vaart), Nigel de Jong - Robben (ab 83. Kuijt), Sneijder, Afellay (ab 46. Huntelaar) - Persie
Deutschland: Neuer - Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm - Schweinsteiger, Khedira - Müller (ab 90.+2 Lars Bender), Ãzil (ab 81. Toni Kroos), Podolski - Gomez (ab 72. Klose)
Schiedsrichter: Jonas Eriksson (Schweden)
Zuschauer: 37.750
Gelbe Karten: de Jong, Willems - Boateng

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